Wo wir diesen Chemikalien heute begegnen können, beschreibe ich im Blog "Sorry, das waren NICHT die Hormone".
Wie die Industrie in Brüssel ihren Willen bekommt
Die EU-Kommission ist säumig: Bereits 2013 sollten Verbote und Beschränkungen bei Pestiziden in Kraft treten, und seit 2015 Maßnahmen bei Kosmetika eingeführt werden – dies wurde in den jeweiligen Gesetzen festgeschrieben. Warum es hier zu massiven Verzögerungen kam, wird in einem Spiegel-Artikel aus dem Jahr 2015 beschrieben.
Warnruf der Wissenschaft: Let’s stop the Manipulation of Science!
Beunruhigende Ergebnisse von wissenschaftlichen Studien werden bereits seit vielen Jahren veröffentlicht. Da in der Gesetzgebung nicht darauf reagiert wurde, gab es immer wieder Warnrufe der Wissenschaft. So forderten über 100 anerkannte internationale Wissenschaftler Europa und die internationale Gemeinschaft Ende 2016 dazu auf, gegen EDC’s vorzugehen. Zugleich verdammten sie auch die Strategien der Erzeugung von Zweifeln, die die Industrie in der Klimawandel-Debatte anwendet. Le Monde, 30.11.2016
Das ist nicht neu: David Michaels beschreibt in dem Buch "Doubt Is Their Product: How Industry's Assault on Science Threatens Your Health" , die "Zweifel-und-Verzögerungs-Taktik" der Tabakindustrie seit den 60er Jahren des 20. Jahrhundert.
Im Schneckentempo…
Schon der erste Schritt für gesetzliche Maßnahmen, die Festlegung von wissenschaftlich eindeutigen Kriterien zur Identifizierung von hormonell schädigenden Chemikalien, wurde erst nach mühevollem Ringen erreicht. Hier hat die EU-Kommission die Frist mit Jänner 2013 verstreichen lassen, wofür sie im Dezember 2015 vom Europäischen Gerichtshof wegen Säumigkeit verurteilt wurde. Im Jahr 2018 traten diese Kriterien in den Gesetzgebungen für Pflanzenschutzmittel und Biozid-Produkte in Kraft; die Bewertung der eingesetzten Chemikalien bezüglich ihrer hormonell schädlichen Effekte wird wohl noch einige Jahre benötigen.
In REACH, der allgemeinen EU-Chemikaliengesetzgebung, wurden bisher ein paar einzelne Beschränkungen, etwa für Bisphenol A in Babyflaschen und einige Phthalat-Weichmacher zu über 0,1% in den meisten Konsumprodukten eingeführt. REACH regelt diese Chemikalien zurzeit hauptsächlich über die Identifizierung als besonders besorgniserregende Stoffe. Hierbei werden in aufwändigen Prozessen jene Chemikalien auf eine Liste gesetzt, die über kurz oder lang vom Markt verschwinden sollten. Diese Liste enthält zurzeit 211 Chemikalien, 7 davon wurden als EDCs für die menschliche Gesundheit, 12 als EDCs für die Umwelt identifiziert. Einige wenige müssen für die Produktion zugelassen werden oder sind beschränkt oder verboten (s.o.). Für alle anderen gilt, dass sie ab 0,1% in Erzeugnissen deklariert werden müssen - professionellen Abnehmern bei der Lieferung, KonsumentInnen nur auf Anfrage. Diese Anfrage können Sie mit der Scan4Chem-App stellen. Es ist anzunehmen, dass das nur die Spitze des Eisberges an hormonell schädlichen Stoffen ist.
Bei den Kosmetika wird bis heute (Jänner 2021) lediglich evaluiert: Die zuständige Generaldirektion ist der EU jene für Binnenmarkt, Industrie, Unternehmen und KMUs (!). Sie hat Ende 2018 einen „Review“ veröffentlicht, der im Wesentlichen aussagt, dass die derzeitigen Maßnahmen ausreichend seien. Im Mai 2019 jedoch wurde eine Evaluation von 28 Chemikalien (Details dazu auf unserer Webseite) ins Leben gerufen, die bis jetzt noch nicht reguliert sind und für die ein begründeter Verdacht besteht, dass sie hormonell wirksam sind. Nun, Anfang 2021, wurden dazu noch keine weiteren Schritte oder Ergebnisse veröffentlicht.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Hoffnung gibt es durch die Ankündigungen der neuen Kommission unter Ursula von der Leyen und die Veröffentlichung der Europäischen Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit im Oktober 2020. In dieser ambitionierten Strategie werden konkrete Maßnahmen zur Regulierung von hormonell schädlichen Chemikalien innerhalb der nächsten Jahre angekündigt. So soll auch - endlich – dafür gesorgt werden, dass neben weiteren bedenklichen Chemikalien, z.B. krebserzeugenden, auch hormonell schädliche Chemikalien nicht mehr in Konsumprodukten enthalten sein dürfen.
Weitere Links
EU-KOMMISSION – GD HEALTH: Endocrine Disruptors. U.a. zu den gesetzlichen Regelungen bei Pflanzenschutzmitteln und Kosmetika
https://ec.europa.eu/health/endocrine_disruptors/overview_en
EU-KOMMISSION – GD GROWTH: Endocrine Disruptors in Cosmetics - die Evaluation von 28 Chemikalien
https://ec.europa.eu/growth/sectors/cosmetics/products/endocrine_en
Initiative “EDC-free Europe”: www.edc-free-europe.org
Einige Mitgliedsstaaten der EU - Belgien, Dänemark, Frankreich, Niederlande, Schweden und Spanien - haben eine Webseite initiiert, auf der alle jene Chemikalien zusammengestellt werden, die entweder bereits bekannte EDCs sind, oder die zurzeit in der EU oder einem Mitgliedsstaat auf ED-Eigenschaften bewertet werden.
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